Allerheiligen 2013.

Oh mein Gott…! Viel mehr kann ich im Moment nicht denken. Jetzt schaut er mir direkt ins Herz. Diese Augen! In meinem Leben habe ich noch nie solche Augen gesehen, wenigstens scheint es mir in diesem Moment wirklich so zu sein. Friede. Gelassenheit und … Tiefe. Tiefe? Ja! Tiefe!

Wer einmal die innere Leere in Menschenaugen sehen hat müssen, der weiß: Es gibt auch das Gegenteil. Aber schon schaut er auf zu seiner Frau. Wasser? Es ist sein erstes Wort, seit ich durch die Tür gegangen bin. Ein hoher Ton, kaum zu verstehen. Kein Wunder, die Chemotherapie und ihre Folgen. Die Ärzte hatten ihm noch eine Woche Zeit gegeben. Einzelne Worte werden da zu Kraftakten. Ansonsten ist von ihm nicht mehr viel zu sehen. Völlig abgemagert. Ach ja, das Wasser, schon stellt seine Frau zwei Gläser her … Das Wasser, das hat er für mich und meinen mitgekommenen Freund gemeint. Haut. Knochen. Aber die Augen – Waaaaahnsinn! Ich kann es nicht anders ausdrücken.

Er greift nach meiner Hand. Dann … was macht er jetzt? Er rollt sich vom Couchbett herunter auf den Teppichboden, sicherlich muss er auf die Toilette. Irgendwie versuchen wir ihn zu unterstützen. Sein Kopf stützt sich auf das Kissen am Rande, Fuß und Schienbein berühren den Boden, der Rest des Körpers ist dadrüber zusammengefaltet. Seine Hände ergreifen die unsrigen. Und dort bleibt er. Und mein Herz auch.

Bilder kommen in mir hoch, von betenden Menschen. In Kirchen, in Moscheen, in Synagogen. Ich denke an mein eigenes Gebet. Oh Gott! Das übersteigt mich. Ich bin zu klein für diese Größe! Warum darf ich das erleben? Ich kann die Tränen fast nicht zurückhalten. Oh! Was muss man tun, um so zu leben, dass man so sterben kann? Ich verliere das Zeitgefühl. Meine Uhr erinnert mich aber, schon über eine Stunde kniet er dort, auf dem Boden. Ergebenheit. Vertrauen. Anbetung. Als hätte Gott das von ihm erwartet? Wenn das nicht Gottes Herz berühren muss! Es ist Allerheiligen! So lebt man Berufung. Hier. Heute. Im Jetzt. Offenheit dem Herrn des Lebens gegenüber. Er weiß, was uns gut tut. Umarmung dessen, was er uns schickt. Oh Gott! Lehre mich anbeten!

Die Krankensalbung. Als wir weggehen, flüstert seine Frau: Er habe darum gebeten, dass Jesus zu ihm komme und jetzt wisse er: Er war da…

Herr, wer bin ich, dass ich so etwas erlebe?