Tagebuch einer Expedition. (Tag 7)

Über den Wasserfall müssen wir drüber, aber erst einmal einen letzten Blick auf diesen zauberhaften Ort. Es ist, als stünden wir inmitten eines Sets für einen bekannten Hollywoodfilm. Der Misery Lake ist wie ein Spiegel. Es ist kaum zu unterscheiden, wo die Felsen des Tzoonie-Massivs aufhören und wo das Wasser des Sees beginnt. So weit wir eruieren konnten, hat bisher noch niemand versucht, die Route zu gehen, an der wir uns gerade versuchen. Vielleicht waren unsere Augen die ersten, die diese Gegend aus dieser Perspektive betrachten durften. „Als hätte Gott es nur für uns alleine gemacht, als hätte er es geschaffen, so dass wir es eines Tages sehen könnten“, meinte Paul, einer von drei Kanadiern, die auf der Reise dabei waren und mit 21 Jahren unser jüngster Teilnehmer.

Heute beginnen wir uns mit dem Thema der Schönheit auseinanderzusetzen. Nach Thomas v. Aquin besteht die Schönheit aus drei Elementen: 1. Integrität, also Einheit mit sich selbst, es fehlt nichts, dass es das ist, was es sein soll. 2. Proportion oder Ordnung der verschiedenen Aspekte und Teile in einem größeren Ganzen, Harmonie. 3. Glanz, Klarheit oder Pracht, Herrlichkeit. Dieser Glanz lässt einen staunen, das Schöne bewundern. Oft genug, wenn es um einen Menschen geht, strahlt da etwas von innen. Ich denke da z.B. an eine Mutter Teresa, die mit ihren 80 Jahren und von Falten zerfurchtem Gesicht eine unglaublich schöne Frau.

Schönheit rettet die Welt, aber verlangt ein lauteres Herz

Was man sieht, hat aber auch etwas mit dem eigenen Herzen zu tun. Deswegen formuliert der Autor des „Kleinen Prinzen“: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Das wurde mir schon 2014 bei unserer ersten zeitgenössischen Kunstausstellung klar. Die Werke waren wie Spiegel, die teilweise völlig konträre Reaktionen in den Zuschauern hervorgerufen haben. Die Zuschauer selbst waren Teil des Kunstwerkes geworden. Die Kunstwerke haben etwas im Herzen des Betrachters hervorgerufen, und die Reaktionen sagten oft mehr über den Betrachter aus als über das Kunstwerk.

Schönheit ist auch ein wenig so. Sie hält uns einen Spiegel vor. Sie erinnert uns an das, was wir im eigenen Herzen haben, was tief in uns verborgen ist: Du bist Abbild Gottes. Der Mensch ist sogar Gipfel der Schöpfung. Daher kann die Schöpfung auch etwas in ihm wieder wachrufen, das eingeschlafen ist, das verdrängt wurde. Wenn man das zulässt, dann beginnt etwas in der eigenen Seele zu vibrieren. Das kann allerdings auch schmerzen, besonders dann, wenn man an dem vorbeilebt, was man eigentlich ist: Abbild der Liebe, die Gott ist. Schönheit kann dann auch Aggression hervorrufen. Man versucht, Schönheit zum Schweigen zu bringen, in sich selbst oder in anderen, weil sie einen an die eigene Identität und die eigene Berufung erinnert.

Schönheit hat mit Zweckfreiheit zu tun. Man lässt sie erstmal stehen, man will sie nicht verzwecken. Man verspürt vor ihr eine gewisse Ehrfurcht, Respekt, Bewunderung. Sie ist nicht da, um benutzt zu werden, gierig nach ihr zu greifen. Daher eröffnet Schönheit auch den Weg zur Liebe, da echte Liebe niemals verzweckt, niemals nach dem anderen greift, sondern nur sich schenkt und beschenken lässt, Freiheit bewahrt.

Liebe wiederum ist fähig, Schönheit zu entdecken, gerade weil sie nicht verzwecken will. Liebe will erst mal wahrnehmen, was da ist, will erst einmal begreifen. Gerade darum geht es in der Betrachtung der Schöpfung, aber auch des Schöpfers. Die Betrachtung ist ein einfacher Blick unter dem Einfluss der Liebe. Die Liebe fesselt den Blick und lässt ihn nicht gierig herumschweifen. Die Liebe will tiefer in den Geliebten hineintauchen, kann auch dem Geliebten helfen, etwas über sich selbst zu entdecken, das der Geliebte vergessen oder verdrängt hat. Die Liebe kann Schönheit dort entdecken, wo der Egoist es nicht einmal erahnt. Egoismus macht überhaupt blind für Schönheit, weil Schönheit als etwas „in sich“ Wertvolles erfasst wird, während der Egoismus „für sich selbst“ will.

Schönheit einer anderen Art

Heute ist sicherlich für viele für uns einer der schönsten Tage gewesen. Heute durften wir die Ridges im Glanz der Sonne betrachten, der Nebel ist verschwunden, der Regen auch. Für mich gab es aber auch andere Manifestationen der Schönheit. Am Nachmittag konnte einer von uns nicht mehr wirklich weiter. Nach einer längeren Abseilaktion war er wie traumatisiert. Für einige Stunden wurde er sehr unsicher in seinem Schritt. Es wurde dann wieder besser, aber für ein paar Stunden schnürte jemand anderer aus der Gruppe den 25kg schweren Rucksack des Hilfsbedürftigen noch auf seinen eigenen drauf und kletterte dann ein paar Stunden lang mit über 50 kg über die Felsen hinweg. Oder am Nachmittag: als wir einige Schneehänge heruntergingen bzw. herunterrutschten, konnte ich ein längeres Gespräch mit einem der Teilnehmer führen. Ich war beeindruckt von der Schönheit eines Herzens, das versucht, ehrlich in sich hineinzuschauen und an sich zu arbeiten bzw. auch Gott zu erlauben, an ihm zu arbeiten. Beide Situationen konnte ich als einfach nur „schön“ beschreiben.

Papst Franziskus schreibt in „Laudato Si“: „Wenn er (der Mystiker) die Größe eines Berges bestaunt, … nimmt (er) wahr, dass dieses innere Staunen, das er erlebt, auf den Herrn bezogen werden muss.“ – Es stimmt, die Schönheit der Berge ist für mich immer wieder eine Gotteserfahrung, etwas von seiner Schönheit bricht hier durch. Und doch, noch viel mehr ist das der Fall, wenn etwas von seiner Schönheit durch die freie Tat eines Menschen sichtbar wird. Vielleicht waren das heute keine großen Heldentaten, aber sie sagen etwas über die Größe des Herzens, das dahinter steht, und über das, wozu dieses Herz fähig ist, wenn es sich immer mehr einlässt auf die Schönheit schlechthin, die Gott ist.

Zwischen Himmel und Hölle

23 Uhr. Schon wieder einmal. Sicherlich, heute war der schönste Tag, aber auch einer der herausforderndsten. Am Nachmittag hat unser Abstieg begonnen. Unser Weg aus der Tzoonie Bergmassivkette heraus führt an fünf Seen vorbei, jeder etwas tiefer gelegen als der vorhergehende. Diese Seen liegen nur leider in einem engen Tal. Sie präsentieren sich in prachtvollem Smaragdgrün, aber man hat kaum Gelegenheit, sie zu genießen. An ihnen vorbeizukommen, gestaltet sich äußerst schwierig. Sehr steiles Gelände, das entweder von massiven übereinander gelegenen Felsbrocken durchsetzt ist oder durch steiles Bushwhacking geht. Die meisten von uns haben inzwischen das Bushwhacking lieber als die Felsbrocken.

Am ersten See hat sich Julia verletzt, am zweiten Beatrice, am vierten dann einer unserer stärksten Bergsteiger, Paul. Er ging direkt vor mir und stieg von einem Felsbrocken auf den nächsten, als sich der Stein lockerte, auf dem er gerade ging. Der Fels und er kamen ins Rollen. Geschrei. Es war wie in einem Film, alles drehte sich vor mir in Slow Motion, ging aber doch so schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Sein Bein war schließlich zwischen zwei Felsbrocken eingequetscht. Sofort rissen Dominik und ich mit aller Kraft an einem der beiden Felsen…. „Die andere Richtung, Pater, die andere Richtung! Du drückst es in die falsche Richtung!“ rief Paul mit einer für mich unglaublich gefassten Stimme. Endlich bekamen wir ihn frei, und Max, unser Arzt, war sofort zur Stelle. Das hätte ganz böse ausgehen können, aber er ist noch mit einer relativ harmlosen Verletzung davongekommen. Das war aber schon die dritte Verletzung dieses Tages. Wir mussten unbedingt aufhören und unsere Kräfte wieder sammeln, bevor noch was Schlimmeres passierte.

Das bedeutete allerdings, dass wir dann heute nicht mehr an den nächsten See kommen würden und wir brauchten unbedingt Wasser. Das hört sich verrückt an, da wir ja fünf Seen in unserer unmittelbaren Nähe hatten. Inzwischen war es aber schon wieder so dunkel geworden und wir schon wieder so hoch über den Seen, dass der vergebliche Versuch von zweien aus der Mannschaft, Wasser zu holen, dazu führte, dass sie uns im Dickicht fast nicht mehr gefunden hätten. Also heute Nacht heißt es, Wasser aus einigen Pfützen gut abkochen und morgen mal ohne Frühstück losgehen, in der Hoffnung, bald auf Wasser zu stoßen.

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